Sinn oder Unsinn? Probiotika mit lebenden Mikroorganismen finden zusehends Verbreitung. Laut Werbung sollen sie in Sachen Gesundheit wahre Wunder bewirken.
Gesunde Laktobazillen: Was vor einigen Jahren mit einzelnen probiotischen Joghurts begann, füllt zusehends die Kühltheken im Supermarkt. Lebende Milchsäurebakterien sollen die Gesundheit ankurbeln und bei einer Vielzahl von Erkrankungen nützlich sein. Neben probiotischen Lebensmitteln sind inzwischen auch probiotische Nahrungsergänzungsmittel erhältlich. Was ist dran an Probiotika & Co.?
Probiotika – was ist das?
Als Probiotika bezeichnet man Nahrungsmittel und Nahrungsergänzungsmittel, die lebensfähige Mikroorganismen enthalten. Von wenigen Pilzen abgesehen handelt es sich dabei vor allem um Milchsäurebakterien der Stämme Lactobacillus und Bifidobacterium.
Was bedeutet Milchsäuregärung?
Steht der Atmung nicht genügend Sauerstoff zur Verfügung, behelfen sich Bakterien und Pilze mit Gärung. Diese ist weniger effizient als die Atmungskette, liefert aber ebenfalls Energie aus Kohlenhydraten. Ähnliches machen unsere Muskeln, wenn der Sauerstoff nicht ausreicht: Milchsäuregärung führt zu Muskelkater.
Milchsäure (Lactat) ist neben Alkohol und Essigsäure das vorwiegende Endprodukt der Gärung von Milchsäurebakterien. Sie säuert das Gärgut an, sodass andere Bakterien und Pilze nichts mehr damit anfangen können. Das dient der Haltbarmachung – und ergibt einen besonderen Geschmack durch spezielle Aromastoffe.
Probiotische Lebensmittel sind (eigentlich) nichts Neues
So neu sind Nahrungsmittel mit lebenden Mikroorganismen nicht. Schon seit der Steinzeit dient Fermentierung der Haltbarmachung von Lebensmitteln: fermentum bedeutet lateinisch Sauerteig.
Auch wenn Brot durch den Backvorgang keine lebenden Organismen mehr enthält, findet die Fermentation ähnliche Anwendung bei der Herstellung von Milchprodukten. Käse, Joghurt und Kefir erhalten erst durch die Milchsäure von Bakterien- und Hefekulturen typischen Geschmack und Haltbarkeit.
Von milchsauer haltbar gemachten Lebensmitteln hat sich vor allem das Sauerkraut gehalten, wohingegen fermentierte Bohnen und andere Sauergemüse viel von ihrer Beliebtheit eingebüßt haben. Ohne die meist übliche Pasteurisierung enthalten diese Lebensmittel ebenfalls lebende Mikroorganismen.
Welche Probiotika gibt es?
Am bekanntesten sind probiotische Joghurts. Inzwischen gibt es auch probiotischen Käse, Quark, Eis und sogar Wurst. Nur in Apotheken erhältlich sind spezielle probiotische Zusatzpräparate. Diese enthalten gefriergetrocknete (lyophyllisierte) Bakterien, die durch eine Kapsel geschützt erst im Darm freigesetzt werden und sich dort vermehren.
Wie Probiotika wirken (sollen)
Gelangen die lebenden Bakterienkulturen in den Darm, vermehren sie sich und bereichern die Darmflora. Sie sollen die Population der Mikroorganismen auffrischen, schädliche Keime zurückdrängen, die Verdauung verbessern und das Immunsystem stärken.
Kritik an der Verwendung probiotischer Lebensmittel
Kritiker weisen darauf hin, dass Milchsäurebakterien zwar ein saures Milieu tolerieren, aber pH 1 im Magen des Guten zu viel ist. Die meisten Bakterien überleben die Magenpassage nicht. Selbst jene, die lebensfähig im Darm ankommen, wachsen dort nur begrenzte Zeit.
Daher sei die Wirkung von probiotischen Präparaten grundsätzlich eingeschränkt. Zudem ist das Mikrobiom des Darmes so kompliziert, dass es bis heute nicht gelungen ist, eine dem auch nur annähernd gleichende Mischkultur im Labor nachzubilden.
Klinisch belegt: Wo Probiotika wirklich helfen
Auch wenn man von Probiotika keine Wunder erwarten darf, wurden positive Auswirkungen in zahlreichen Studien bestätigt. Das gilt insbesondere für
- Reizdarmsyndrom
- Lactose-Intoleranz
- Verstopfungen und Durchfälle bei Kleinkindern
- Antibiotika-induzierte Durchfälle
- Magen-Darm-Entzündungen (Gastroenteritis) einschließlich der
- chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen
- Morbus Crohn und
- Colitis ulcerosa.
Wegen der begrenzten Überlebenszeit ist eine regelmäßige Einnahme notwendig. Dafür braucht man allerdings keine teuren Spezialpräparate wie überzuckerte Joghurtdrinks: Ein einfacher probiotischer Joghurt reicht vollkommen aus.
Bei welchen Krankheiten sollen Probiotika sonst noch helfen?
Großer Forschungsbedarf besteht bei einigen anderen Anwendungen wie
- Allergien,
- Darmkrebs,
- zystischer Fibrose,
- Neurodermitis Erkrankungen der Mundhöhle wie Zahnstein, Karies, Parodontitis,
- Mundgeruch,
- Cholesterinspiegel und
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie
- Harnwegsinfekte.
Hier gibt es teils widersprüchliche und nicht hinreichend belegte Studienergebnisse, die dringend weiterer Klärung bedürfen.
Nach bisherigen Erkenntnissen gibt es mindestens eine strenge Kontraindikation: Bei Morbus Bechterew sollte man Probiotika vermeiden!
Quellen, Links und weiterführende Literatur
- Singh VP, Sharma J, Babu S, Rizwanulla, Singla A: Role of probiotics in health and disease: a review. J Pak Med Assoc. 2013 Feb;63(2):253-7.
- Didari T, Mozaffari S, Nikfar S, Abdollahi M: Effectiveness of probiotics in irritable bowel syndrome: Updated systematic review with meta-analysis. World J Gastroenterol. 2015 Mar 14;21(10):3072-84.
- Cuello-Garcia CA, Brożek JL, Fiocchi A, Pawankar R, Yepes-Nuñez JJ, Terracciano L, Gandhi S, Agarwal A, Zhang Y, Schünemann HJ: Probiotics for the prevention of allergy: A systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. J Allergy Clin Immunol. 2015 Oct;136(4):952-61.
- Redman MG, Ward EJ, Phillips RS: The efficacy and safety of probiotics in people with cancer: a systematic review. Ann Oncol. 2014 Oct;25(10):1919-29.
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